Pfirsichduft

oder Das Blau von Chagall

Auf dem Weg zu einer Sprachreise nach Metz ist sie mir aufgefallen, sie stieg in Dresden zu und setzte sich zwei Reihen vor mir in dem Fernbus. Zuvor streiften sich kurz unsere Blicke.

Ich war mit guten Bekannten unterwegs, die die Reise organisiert hatten – mit Programm. Wir machten Abitur am Viktor-Klemperer-Kolleg in Berlin und hatten auch Französisch als Fremdsprache gewählt, weil uns die Sprachmelodie gefiel und Französisch eine Weltsprache ist.

Escargot für die Schnecke beim Bäcker …

Überhaupt war ich irgendwie frankophil. Wir waren zusammen bereits in Montpellier und Avignon. Ich hatte den Süden Frankreichs auch schon mit dem Fahrrad erkundet. Von Orange über Carcassonne und Clermont nach Montpellier. Also die gesamte Haut-Languedoc.

Ein vorheriger Sprachurlaub über das Europäische Work and Travel – Programm führte mich in das Massif-Central. Genauer nach Lussas nahe der Ardèche, die bekannt für Kanutouren und Weinbau ist. Dort lernte ich das Wein rosé und auch weißer Wein aus roten Trauben gewonnen werden kann – abhängig von der Lagerung in der Maische, wo Alkohol den roten Farbstoff der Beere löst.

Wir besuchten Straßburg und streiften durch die Stadt. Die Mehrheit wollte einen anderen Weg als ich. So schlug ich eine Trennung und einen Treffpunkt vor. Ich war bereits ein paar Meter alleine gegangen, als sie sich aus der Gruppe löste und in meine Richtung eilte. Willst Du wirklich alleine weitergehen, fragte sie mich. Ich erwiderte: Das macht mir nichts aus, die Stadt ist interessant genug.

Sie schaute sich noch einmal um und blieb bei mir. Wie selbstverständlich gingen wir zusammen weiter und trafen die anderen erst am Straßburger Münster wieder. Wir durchstreifen das Erdgeschoss und des dreischiffigen Gebäudes und lachten über die ergeben nach oben schauenden Figuren. Eine solche Art Unterwerfung konnten wir uns beim besten Willen nicht vorstellen. Wir erklommen in einem Turm über Spindeltreppen das hohe Gebäude und landeten auf der großen Dachterrasse mit einer herrlichen Aussicht über die Dächer der Stadt, trotz des diesigen Wetters.

Später führen wir dann weiter, um uns noch ein Juwel der Gegend anzuschauen – die kleine Kapelle in Sarrebourg dessen Fenster von Marc Chagall gestaltet wurden. Dieses wunderschöne Blau hatte ich heute bereits gesehen, denn unsere Augen strahlten im gleichen Blau – tief mit einigen goldenen Sprenkeln. Ihre Ohren waren angelegt, obwohl sie für meinen Geschmack auch abstehende Ohren tragen könnte. Ihre mittelblonden halblangen Haare hatte sie heller gefärbt, so dass sie schon von Weitem auffiel.

Das Tagesprogramm war abgeschlossen, wir kehrten zurück nach Metz und suchten dort nach dem Abendbrot in der Auberge noch eine Weinbar. Wir nutzten jeden Kontakt , um unser Französisch zu verbessern und hatten keine Scheu auch mal etwas Falsches zu sagen.

Am kommenden freien Tag gingen wir zu zweit in der Stadt spazieren und sahen tatsächlich ganz kitschig zwei Schwäne, die mit Kopf und Hälsen ein Herz formten – das war zu viel und wir brachen in lautes Lachen aus. Später gingen wir dann zusammen in das Hallenbad und schwammen ein paar Runden.

Dieses Mal gingen wir zusammen ins Bett – ich nahm sie einfach auf meine Arme, hob sie hoch, unterschätzte leicht die Hebelwirkung und schob sie auf die obere Etage des Doppelstockbettes. Ich kletterte hinterher und legte mich neben sie. Alle anderen Anwesenden hatten offensichtlich nichts dagegen, dass wir die Nacht gemeinsam verbrachten.

Morgens warteten wir dann bis das Bad frei war, putzten uns gemeinsam die Zähne und schauten uns unter der Dusche an. Sie war genauso groß wie ich.

Auf der Rückfahrt weinten wir beide und konnten nichts dagegen unternehmen. Ich hatte mich schon längst entschieden, denn es war mehr als ein Urlaubsflirt. Unter Tränen verabschiedeten wir uns in Dresden nicht ohne ein Versprechen.

Wir vertrauten uns.

Zurück in Berlin musste ich Karin davon erzählen. Wir führten eine Beziehung in getrennten Wohnungen – meine bevorzugte Art der Unabhängigkeit in einer freiwilligen Verbindung.

Sie blieb über Nacht und wir schliefen aneinander gekuschelt. Ich legte meinen Arm um sie und spürte ihre große Brust. Sie weinte und wir spürten mit einem Male eine zuvor unbekannte Zärtlichkeit zwischen uns.

Wir habe viel zusammen erlebt und unsere Freizeit sinnvoll gestaltet. Windsurfen, Tauchen, Rettungsschwimmen und sie dazu noch Fallschirmspringen und Fechten.

Am kommenden Tag schrieb ich ihr den ersten Brief nach Dresden – telefonieren war einfach zu teuer und wir hätten es zu ausgiebig genutzt. Das Schreiben ist zwar nicht so unmittelbar, das Lesen dagegen schon.

Wir schrieben uns fast täglich und ich konnte es oft gar nicht erwarten nach Hause zu kommen und Papier und Füllfederhalter in die Hand zu nehmen. Später war dann die Post von ihr im Briefkasten finden.

Ich lernte eifrig, ging Schwimmen und Jobben, freute mich auf ihre Briefe und mein Schreiben.

Das erste Mal besuchte ich sie im Frühjahr und sie zeigte mir das Elbsandsteingebirge.

Im Sommer holte sie mich und mein Fahrrad vom Hauptbahnhof ab und wir fuhren auf die Elbwiesen, wo das Wiesenschaumkraut schon sprießte. Auf einem Spaziergang fanden wir dann Brombeersträucher mit vollen Früchten. Ich sagte: Schon lange habe ich keine Beeren mehr vom Strauch gepflückt. Rückblickend erzählte sie mir, das sei der Moment gewesen, in dem sie sich tatsächlich in mich verliebte.

Sie zeigte mir noch ihren Lieblingsplatz an der Elbe gegenüber einer kleinen, barocken gelben Kapelle auf dem anderen Elbufer. Sie liebte dieses Gebäude – mir gefiel es nicht so gut.

Im September schenkte ich ihr dann ein Bild, gemalt mit Wachsmalkreide, genau von dieser Perspektive und sie sagte erstaunt, sie dachte, ich könne den Bau nicht leiden. Ich erwiderte, dass ich versucht habe ihre Perspektive einzunehmen in dem ich das Bild malte und mich damit auseinandersetzte. Ihr gefiel das Kunstwerk.

Ihr Vorliebe waren Fremdsprachen und die Sprache allgemein, sie dachte darüber nach, Logopädin zu werden.

Als sie mich besuchen kam, hatte sie einen großen Strauß Blumen dabei. Eigentlich wollte ich ihr an diesem Wochenende den Dorotheenstädtischen Friedhof zeigen mit dem Brechhaus daneben, aber wir hatten so wenig Zeit. Ich spüre immer noch ihren Pfirsichduft auf meiner Zunge.

Ein halbes Jahr später entschied ich mich nach Dresden zu ziehen. Die Technische Universität hatte einen guten Ruf, war nicht so überlaufen im Fachbereich Architektur und ich konnte in Freiberg mein Abitur beenden. Kein so großer Aufwand, um die räumliche Distanz zu überwinden.

Sie hat keinen Namen – ihr Name ist Liebe.

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